Vor dem Verfassungsgerichtshof

Gegen die vom Innenministerium beschiedene Unzulässigkeit des Volksbegehrens hat die SPD Klage beim Verfassungsgerichtshof eingereicht. Wie geht es nun weiter?

Wer oder was ist der Verfassungsgerichtshof?

Der Verfassungsgerichtshof des Landes Baden-Württemberg ist ein selbständiges und unabhängiges oberstes Verfasssungsorgan. Er steht damit auf einer Ebene mit Landtag und Landesregierung. Der Verfassungsgerichtshof entscheidet in Verfahren und legt Verfassungsnormen aus. Waren früher vor allem Organklagen und Normenkontrollverfahren möglich, kann seit 2013 jede*r Bürger*in Verfassungsbeschwerde beim Verfassungsgerichtshof einlegen. Eine Übersicht der Zuständigkeiten gibt es auf der Seite des Verfassungsgerichtshofs.
Im Übrigen heißt der Verfasssungsgerichtshof noch gar nicht lange so. Erst 2015 wurde der frühere Staatsgerichtshof in "Verfassungsgerichtshof" umbenannt.

Der Verfassungsgerichtshof besteht aus neun ehrenamtlichen Richter*innen, die vom Landtag gewählt werden: jeweils drei Berufrichter*innen, drei Mitgliedern mit Befähigung zum Richteramt und drei Mitgliedern ohne diese Befähigung.

Wie läuft der Prozess?

Gegen die Entscheidung des Innenministeriums wurde fristgerecht Klage beim Verfassungsgerichtshof eingereicht. Die Vertrauenspersonen des Volksbegehrens, Andreas Stoch und Sascha Binder, werden beim Prozess von Prof. Dr. Joachim Wieland vertreten. Auch das Innenministerium ist nach § 29 Abs. 3 S. 2 VAbstG ist als Antragsgegner am Prozess beteiligt.

Der Verfassungsgerichtshof bat in einer ersten Handlung den Landtag um eine Stellungnahme zum Art. 60 Abs. 3 LV BW. Die Anhörung hat am 20. Januar 2020 stattgefunden. Das Urteil sollte ursprünglich am 30. März 2020 verkündet werden, wurde aufgrund des Corona-Virus aber auf den 18. Mai 2020 verschoben.

Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshof bindet Landtag und Landesregierung sowie alle Gerichte und Behörden des Landes, außerdem wird die Auslegung der Verfassungsnorm maßgeblich für die Zulässigkeitsbewertung kommender Volksbegehren sein.

Und lautet das Urteil?

Der Verfassungsgerichtshof ist unabhängig, deshalb ließ sich das Ergebnis zum Glück nicht im Vorfeld sagen. Bei früheren Urteilen in Deutschland zur Frage finanzwirksamer Volksgesetzgebung zeigt sich aber eine große Bandbreite. Damit war klar, dass nichts in Stein gemeißelt sein würde.

Mit unserem Aufruf appellierten wir an die Landesregierung, konkret an das prozessbeteiligte Innenministerium, die eigene Position zu überdenken, damit Volksbegehren in Baden-Württemberg auch de facto möglich bleiben - leider erfolglos.

Am 18. Mai erklärte der Verfassungsgerichtshof das Volksbegehren für unzulässig. Das begründete er vor allem anhand zweier Punkte: Es handle sich um ein Abgabengesetz und es sei zu unbestimmt.

Das ist eine folgenreiche Entscheidung. Denn die Frage der Finanzwirksamkeit bleibt offen. Vor allem aber stützt das Gericht sich auf einen Punkt, der vom Innenministerium gar nicht beanstandet worden war: die Bestimmtheit. Im Ergebnis stellt das Urteil höhere Anforderungen an die Bestimmtheit eines Volksgesetzes als an die eines Parlamentsgesetzes. Das heißt, mit dem Verweis auf mangelnde Bestimmtheit lässt sich im Grunde jedes Volksbegehren abschmettern. Zugleich heißt das aber auch mehr Arbeit den Verfassungsgerichtshof, weil Initiatoren von Volksbegehren mit Sicherheit den Rechtsweg gehen werden.

Mehr Demokratie e.V. sieht diese Auswirkungen des Urteils als Erschwerung direkter Demokratie und fordert den Gesetzgeber daher auf, das Volksabstimmungsgesetz nachzubessern - damit wir endlich einmal abstimmen können!